vor einiger Zeit gabs im Carfreitag-Thread am Rande auch eine Diskussion übers Stadtleben und Landleben. Diese Diskussion möchte ich gerne nochmal aufgreifen und ihr einen eigenen Thread widmen.
Also meine Frau und ich sind beide "aufm Dorfe" großgeworden und haben beide auch das Leben in mittleren bis Kleinstädten kennengelernt (naja Metropolen wie Berlin oder München waren nicht dabei). Beide sind wir zur Überzeugung gekommen, daß wir unsere Kinder "im Grünen" aufwachsen lassen wollen.
Das Leben in der Stadt und das auf dem Lande hat beides Vor- und Nachteile und je nachdem was man kennengelernt hat, beurteilt mna diese natürlich auch anders.
Also was mir gefällt:
Die Ruhe. Ich kann mit meinen Kindern einen zweistündigen Spaziergang machen, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen (wenn ich die richtigen Wege wähle).
Die Natur. Auch wenn es eine vom Menschen kultivierte Natur ist, so ist mir eine vom Menschen angelegte Feldholzinsel immer noch lieber als das Hinterhofgrün in einem Großstadtwohnblock.
So kann ich meinen Kindern ganz natürliche Vorgänge wie "fressen und gefressen werden" und "leben und sterben" beibringen und sie können sie sofort mit eigenen Augen sehen. Wenn man z.B. Katzen bei der Jagd beobachtet, Fliegen im Spinnennetz, Ferdern vor einem Fuchsbau, herausgefallene Vogelküken, altersschwache Feldmäuse, frisch geschlüpfte Kaulquappen, einer Schnecke beim Eierlegen zusehen ...etc etc
Da lernt man sehr viel über die natürlichen Vorgänge des Lebens und ich persönlich halte das für sehr viel wichtiger, auch in Bezug auf eventuelle spätere Gedanken über sich selbst, den Sinn des Lebens oder ähnlichen philosophischen Erkenntnissen, als zum Beispiel zu wissen, welcher Jamba-Klingelton gerade cool ist.
Man hat mehr Platz auf dem Lande (auch die Kinder zum Spielen) man lebt nicht in Wohnsilos mit Mitbewohnren rechts links oben unten vorne hinten. Rücksichtslose (kinderlose) Mitmieter können schon sehr nervig sein, wenn sie z.B. nachts um 3:00 Uhr Musik aufdrehen oder ständig Türen knallen... hier gibts viele Beispiele..
Ich finde es weniger anonym auf dem Lande. Okay richtig kennen tut man seine Nachbarn auch nicht und was hinter verschlossenen Türen geschieht weiß man soweiso nicht, aber ich finde es angenehm, wenn ich so durchs Dorf gehe und jeder blickt von seiner Gartenarbeit oder anderen Aktivitäten auf und grüßt... in der Berliner U-Bahn passiert sowas wahrscheinlich nicht...
Weniger Kriminalität. Weniger Sorge um Kriminalität bzw daß einem mal was passiert. Tragische/erschreckende Meldungen in den Lokalzeitungen beziehen sich eher auf schwere bis tötliche Autounfälle auf Landstraßen. Mord, Einbruch, Diebstahl, Vergewaltigung ist da eher selten bis gar nicht.
Natürlich hat das ganze auch Nachteile. Z.B. die großen Entfernungen. Auf dem Dorf bestehen die einzigen öffentlich zugänglichen Gebäude aus einer Telefonzelle, einem Briefkasten und einer Bushaltestelle.
Der nächste Supermarkt ist 5Km entfernt. Die nächsten Schwimmbäder 5-10Km. Das nächste Kino 20Km. Weiterführende Schulen auch meist um die 20 Km, Ärzte sind verteilt im Umkreis von 10-20Km. Man braucht also unbedingt ein Auto, meist sogar einen Zweitwagen. Dadurch relativiert sich wieder das Verhältnis der deutlich günstigeren Miet- und Wohnungspreise aufm Lande durch die Notwendikeit eines (zweiten) Autos.
Irgendwie ist es aber dann völlig normal, daß man z.B. zum Einkaufen 5 Min mit dem Auto fahren muss. In der Stadt mit der U-Bahn gehts wahrscheinlich auch nicht schneller, auch wenn die Entfernungen dort anders sind. Allerdings möchte ich nicht den Wocheneinkauf für meine Familie mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause bringen müssen... (zwei Einkauskästen, diverse Tüten, Wasserkisten und eventuell noch die Kinder dabei...hui was ein Spasss

Was die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen angeht:
für Kinder ist es optimal, Platz, Ruhe, wenig Verkehr...
für Jugendliche ist es da schon schwieriger. Freizeitangebote wie Schwimmbad, Kino, Disco sind halt weit entfernt. Mit Öffis ist es nicht so toll auf dem Lande (der letzte Bus fährt um 18:00 Uhr, nicht gerade geignet für einen Kinobesuch...)
Dafür rücken andere Gemeinschaften in den Vordergrund wie z.B. Jugendfeuerwehr, Schützenverein, Dorffussballvereine...(und da wird auch ordentlich gefeiert...)
Das hat den Nachteil, man ist automatisch mit allen Jugendlichen aus dem Dorf zusammen, ob man sie nun mag oder nicht (Zwangsgemeinschaften). Das hat aber auch den Vorteil, daß man lernt, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen (zu müssen) und sich nicht nur mit gleichgesinnten Cliquen abzuschotten (und eventuell intollerant zu werden)...
Alkohol, Zigaretten und andere Drogen gibt es hier (leider) genauso und wird auch genauso früh konsumiert.
Sex läuft meiner Meinung nach (und zum Glück) später ab.
a) weil weniger Auswahl vorhanden ist, durch die Reizüberflutung der Medien aber gewisse "Idealvorstellungen" geweckt sind
b) die fehlende Anonymität ("was sollen denn die Leute denken").
Hört sich bieder und spießig an, wenns meine Töchter davor bewahrt, ihre Jungfräulichkeit mit 13 an den erstbesten dahergelaufenen Macker zu verlieren (bevor Einspruch kommt: klar, das hängt auch von meiner Erziehung ab) dann solls mir recht sein.
Meine Meinung über den "ersten Sex" habe ich ja schon in einem anderen Thread kundgetan.
Kleine Überleitung zum Carfreitags-Thread: Autotuning und Autorennen habe ich persönlich noch nicht aufm Dorfe kennengelernt.
Weitere Aspekte (jetzt meist nur kurz erläutert):
Alkoholsucht gibt es hier sicherlich genauso, aber sie wird nicht öffentlich auf der Parkbank oder am Kiosk ausgelebt sondern hinter verschlossen Türen.
Es gibt keine Ghettobildung und die daraus resultierenden sozialen Probleme und Brennpunkte.
Keine Jugendgangs, die Kinder auf dem Schulweg erpressen oder verprügeln.
So das wars erstmal, wenn Eure Meinungen dazu kommen, fällt mir bestimmt noch mehr ein.
Wie gesagt, hierbei handelt es sich nicht um eine "Stadt-Verteufelung" sondern nur um meine persönliche Vorliebe, resultierend aus eigenen Erfahrungen und Erlebnissen.